Im Jahr 2025 stehen mehrere Jahrestage – oder Jubiläen, je nach Bezug – hier im Französischen Viertel an. Der Kalender ist da ziemlich unerbittlich, die Uhr tickt.
80 Jahre Franzosen in Tübingen – Besatzer, Partner, Befreier, Freunde. Am 19. April 1945 ergab sich die Stadt Tübingen der vorrückenden französischen Armee. Bericht vom Kriegsende in TUEpedia.
Erst kam die Armee, dann die Militärregierung der Besatzungs-Zone, dann Institutionen und Einrichtungen auch kultureller Art, und dann Partnerstadt, Freundeskreise, Filmfestival, Institut Culturel. Dann der Abzug 1991: vieles hat sich geändert, gewandelt, wurde vergessen; einiges ist geblieben, hat Wurzeln geschlagen; wieder anderes ist in den von der französischen Garnison hinterlassenen Arealen entstanden und erinnert mit seinen Namen an die Zeit und die Präsenz der Franzosen: französisches Viertel, französische Schule, Franz!werk, Straßennamen wie Mistral-, Mirabeau-, Cezanne-, Provenceweg, Aixer Straße und Allée des Chasseurs.
Wie kann an diese Zeit erinnert werden, in welchem Rahmen, mit welchem Fazit, welchen Emotionen? Die deutsch-französische Freundschaft ist ja eine der wichtigsten Lehren aus den Gräueln des 2.- Weltkriegs, und auch der Motor, das Herzstück des europäischen Einigungsprozesses, der Europäischen Union.
Und in Tübingen gibt es noch viele Zeitzeugen: teils französische Menschen, die hiergeblieben sind aus der Garnisonszeit, oder in dem Zusammenhang sich hier angesiedelt haben. Bewohnerinnen und Bewohner von Tübingen, die sich an die Zeit der Präsenz der französischen Soldaten hier erinnern, vor allem auch in der Südstadt.
Wenn Sie oder Du Ideen hast, wie diese Jährung begangen werden könnte, kann das hier gerne seinen Platz finden: Per EMail oder auch im Kommentar gerne etwas schicken oder hinterlassen. Gerne auch Bilder schicken.
Im ICFA gibt es Sprachkurse, Veranstaltungen, einen Freundeskreis etc. – ICFA – Homepage
Im Jahr 2025 stehen mehrere Jahrestage – oder Jubiläen, je nach Bezug – hier im Französischen Viertel an. Der Kalender ist da ziemlich unerbittlich, die Uhr tickt.
1935-2025: vor 90 Jahren wurde die Burgholzkaserne eröffnet & eingeweiht
Das Datum – genau war es am 28. Oktober 1935 – stammt aus der Zeit des sich ausbreitenden nationalsozialistischen Staats, aus der Zeit der Wiederaufrüstung nach dem 1. Weltkrieg und den stürmischen 1920er Jahren , als an vielen Stellen ähnliche Kasernen entstanden.
Das Datum zu feiern finde ich nicht passend, aber daran zu erinnern finde ich wichtig, weil es eben Fakt ist, dass die Wurzeln des heutigen bunten Stadtteils „Französisches Viertel“ in dem Areal einer ehemaligen Wehrmachtskaserne liegen, die 1934-35 auf der grünen Wiese vor den Toren Tübingens gebaut wurde. Mehr dazu in den Artikeln in TÜpedia hier.
1935 wurde die Kaserne mit der Flurnamenbezeichnung „Burgholzkaserne“ eingeweiht, 1938 bekam sie den „Kampfnamen“ Hindenburgkaserne, nach dem 1934 verstorbenen Reichspräsidenten und Weltkriegsgeneral Paul von Hindenburg.
Heute verabreden sich hier Kinder zum Spielen, kicken etc. ohne viel über die Bezeichnung nachzudenken: die „Panzerhalle“ am französischen Platz erinnert an ihre frühere Funktion als Panzerwartungshalle
2009 hat sich der angehende Geschichtslehrer Pierre Michael in einer Abschlussarbeit für das Fach Geschichte an der Uni Tübingen mit der Entstehungsgeschichte der Kaserne und den damit im Zusammenhang stehenden Herausforderungen für die Kommunalpolitik der Stadt Tübingen auseinandergesetzt. Die Arbeit wurde finanziell durch den damaligen FGV – den inzwischen aufgelösten FranzViertel-Gewerbeverein – unterstützt und unter anderem von mir etwas betreut.
Es gab anlässlich einer Rundmail schon Überlegungen bei einigen Akteuren im Viertel – Werkstadthaus, Kultur im Viertel e.V., Künstlern bei „Offene Ateliers“ am 1.12., Leuten aus dem Forum-Französisches-Viertel-Verteiler – ob und wie dieser Jahrestag im Viertel seinen Niederschlag finden könnte – also in irgendeiner Form sichtbar oder erlebbar werden könnte.
Dieses Bild könnte zum Beispiel in der Aixer Straße angebracht werden – mit Blick in Richtung ehemaliger Kasernenhof und Exerzierplatz in Richtung „Allée des Chasseurs“, die Bäume im Hintergrund stehen heute dort.
Ein Idee war, (evtl. temporäre) Stelen mit Fotos aus der Zeit aufzustellen, die dann den Vergleich mit heute erlauben und so auf die Vergangenheit und die Entwicklung seither aufmerksam zu machen – zum Beispiel Armin Scharf fand das eine gute Möglichkeit, so die Vergangenheit sichtbar zu machen.
Eine andere Idee war eine offene Veranstaltung im Werkstadthaus, zum Beispiel initiiert z.B. vom Forum Französisches Viertel (Mailverteiler), bei der Bilder aus der Zeit gezeigt werden können, Erinnerungen geteilt werden können, und ein Gespräch darüber entstehen kann, was diese Vergangenheit für heute und die Zukunft bedeutet – vielleicht kombiniert mit dem Thema „80 Jahre – Franzosen in Tübingen“ und wenn möglich auch mit Zeitzeugen.
Eine weitere Idee aus dem Umfeld der Friedensbaum-Gruppe – die beteiligte Friedensbaum-Stiftung hat ihren Sitz ab 2025 in Jettenburg bei Tübingen – war eine Erneuerung & Bekräftigung des Friedenimpulses des Friedensbaums Widusalem, der ja auch eine Vergebungs-Dimension im Sinne des hawaiianischen Ho’o’pono pono – „in Ordnung bringen“ – beinhaltet, also sozusagen einen Aspekt „Frieden schließen, akzeptieren, vergeben – mit der Vergangenheit, der inkorporierten Absicht in den Kasernenbauten, den Ahnen, die damals beteiligt waren“.
Gerne können weitere Ideen und Anregungen an mich gerichtet werden zum Zwecke der Ergänzung hier – am liebsten mit Absender, aber auch anonym denkbar als Beitrag zur Debatte.
von Fabian Betz, www.franzoesisches-viertel.com, 24.9.2024
Ende August 2024 starb Andreas Feldtkeller im Alter von 91 Jahren – er hatte als Stadtplaner von Ende der 1960er Jahre bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1997 Tübingens Stadtbild und Entwicklung maßgeblich geprägt, darunter rund 25 Jahre lang als Leiter des städtischen Stadtsanierungsamtes.
Seine Erfahrungen aus den Auseinandersetzungen bei der behutsamen Sanierung der – glücklicherweise im Krieg fast unzerstörten – Tübinger Altstadt ab 1969 brachten ihn zu einer eigenen Städtebau-Philosophie, die er 1992 in seinem Buch „die zweckentfremdete Stadt“ veröffentlichte. Darin setzt er sich nicht nur kritisch mit Tendenzen der damals herrschenden Stadtentwicklungslehre auseinander, sondern zeigt Alternativen auf, die die weitere Diskussion mitgeprägt haben. Wesentliches Element: die Mischung macht die Stadt! … also die Mischung von Wohnen, Arbeitsstätten, Läden, Handwerk, sozialem plus der Mischung der dazugehörigen Menschen etc. sorgt für das urbane Lebensgefühl. Er war überzeugt: „Stadt ist ohne Chaos nicht denkbar“.
Ich selbst durfte ihn bei der Zusammenarbeit im Projekt EVALO in den Jahren 2002-2005 kennenlernen, und auch zu der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag „Stadt Rand Notizen: No. 1: Vielfalt und Konflikt ( Bildung – Gesellschaft – Urbanität) einen Beitrag leisten. Mir imponierte bei ihm der große Gedankengang, die Tübinger Stadtentwicklung mit ihrer über 500jährigen Geschichte (die Uni wurde 1477 gegründet) mit ihren Errungenschaften und ihrem gewachsenen, bewahrenswerten Nebeneinander von verschiedenem Lebensgefühl im mittelalterlich geprägten Stadtkern strukturell weiterzudenken in neue Stadtquartiere – und das sogar mit Integration ehemaliger Wehrmachts- (um nicht zu sagen „Nazi-„) Kasernengebäude. Und das dann so hartnäckig zu verfolgen gegen alle Zeitgeist- und ökonomischen Widerstände, dass es dann sogar auf der kleinen Parzellenebene verwirklicht wird, mit Sorgfalt und Liebe zum Detail.
Ich habe ihn oft gesehen im Viertel, auf dem Fahrrad und zu Fuß, wie er nach „seinem Baby oder Ziehkind“ schaute, wie es sich entwickelte, losgelassen aus der Plan-Theorie mit ihrem Ideenhintergrund in die auch rauhe Realität mit Anwohnerinnen- und Bürgerinteressen, Parkierungs- und Gewerbetreibenden-Bedürfnissen, einem strengen Zonenparkverbots-Regime, das auch einer starken Rolle der Stadt bedurfte.
In vielem war hier die Stadt Tübingen mit ihrem lange auch vor Ort angesiedelten Sanierungsamt der zentrale Akteur, der Regie führte, und klare Vorstellungen hatte. Diese wollte man gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern umsetze und bewarb sie daher auf vielen Veranstaltungen und Beteiligungsformaten bewarb. Der Grundgedanke dahinter ist, dass die Bürger die Stadt selbst gestalten.
2001 durfte ich als Praktikant im Stadtsanierungsamt, damals unter dem Feldtkeller-Nachnachfolgeleiter Cord Soehlke – dem heutigen Baubürgermeister – bei einer so genannten „Stadthausbörse“ mitwirken. So hießen die Treffen, bei denen Baugemeinschaften ihre Projekte potenziellen Mitbau- und -wohnninteressierten vorstellen konnten und Kontakte vermittelt wurden. Diese Bündelung der Planungs-, Koordinations- und auch Moderations-Rolle in den Händen eines Amtes mit wenigen Köpfen war sicher ein wesentlicher Hebel für den Erfolg des Städtebauprojektes, und ging nicht zuletzt auch auf Feldtkellers Person zurück, der von 1991-1997 der Amtsleiter war und dieses mit seiner Autorität gestaltet und ausgefüllt hatte.
Im Rückblick gesehen war der Zeitgeist schon auch etwas auf seiner Seite oder „an seiner Seite“. Zumindest in der Theorie und den Debatten setzen sich Ansätze wie der von ihm vertretene zunehmend durch, mit Verzögerungen in der Praxis bis heute. Die Städtebaupreise, der deutsche und der europäische für das Französische Viertel (und das Loretto-Viertel, das auch Teil des Entwicklungsbereichs ist) Anfang der 2000er Jahre und auch die „neue Charta von Athen“ 1998/2003, dann die „Charta von Leipzig 2007“ und die „neue Leipzig-Charta 2020“ mit ihrem Leitbild der „nachhaltigen europäischen Stadt“ machen klar, dass die Ideen mit in der deutschen und europäischen Städtebauszene Fuß gefasst haben.
Das kommt einer radikalen Umkehr gleich. Die Verluste an urbaner Lebendigkeit, die durch die Wirkung der Separationsideen der „Charta von Athen“ von 1933 dann in den Wiederaufbaujahren nach dem Krieg und die Verkümmerung des öffentlichen Raums durch die Resultate des Anstrebens der „autogerechten Stadt“ (1959) in den 1960er Jahren führten zu „Schmerzen“ („die Unwirtlichkeit unserer Städte“ – Mitscherlich 1965), wurden augenfällig. Ab Anfang der 1970er Jahre (Quelle: Wikipedia) suchte man neue Wege und just in diesen Jahren begann Andreas Feldtkeller als junger Stadtsanierer, die Altstadt zu modernisieren. Zu Beginn schüttelte der damalige Oberbürgermeister Hans Gmelin den Kopf über die „verrückte“ Idee, auf dem Marktplatz Tische und Stühle aufzustellen zum „draußen Kaffee trinken“.
Die Erkenntnis reifte, dass Mischung und Vielfalt in den städtischen Strukturen – vor allem im öffentlichen Raum – die friedlich-normale Begegnung im Vorübergehen zwischen Fremden und Andersartigen ermöglicht. Es entsteht ein Gefühl von „gemeinsam sind wir reicher, jeder und jede gibt und nimmt etwas, alle bringen sich ein, es gibt ein Kommen und Gehen von Läden, Menschen, Funktionen, alles fließt, ändert sich laufend, aber der städtische Rahmen hält das aus und trägt das“. Diese eigentümliche städtische Mischung stellt dann einen Gewinn, ein Plus für alle dar. Was Andreas Feldtkeller besonders auszeichnete, ist, dass er innovativ Antworten auf die Frage nach der Planbarkeit solcher Strukturen, der Implementierung seiner Philosophie in Bebauungsplanvorgaben, Parzellengrenzen, öffentliche Straßen- und Platzstrukturen suchte und fand. Das französische Viertel ist das Ergebnis der Annäherung an das Ideal, auch eine Art gewagtes, weil damals neuartiges „Experiment“ – und nach Meinung vieler Experten in seiner Konsequenz der kleinparzellierten Nutzungsmischung einzigartig, und von vielen Nachahmern nicht erreicht in der Tiefe der Umsetzung der als elementar erkannten städtebaulichen Prinzipien. Aber ganz zufrieden war Andreas Feldtkeller damit auch nicht – so haben mir ihm nahe stehende Personen erzählt. Er hat immer weiter gedacht und die Stadt als etwas Unfertiges und Lebendiges begriffen, das sich stets weiter entwickelt – und durch Akteure wie ihm starke Impulse erhält, in welche Richtung die Reise geht.
Danke, Andreas Feldtkeller, dafür – ich habe das ja auch dahinter anklingende Versprechen „Stadtluft macht frei!“ hier im französischen Viertel als sehr inspirierend für die persönliche Entwicklung empfunden.
Mit der Idee, später einmal einen Bildband (oder eine hybride Form aus Papier- und Web-Publikation) herauszugeben, sammle ich (Fabian Betz, Diplomgeograph und Stadtteilführer im Viertel) seit einigen Jahren Bild-Zeugnisse aus den Anfängen des französischen Viertels – die ersten 20 Jahre: 1991-2011.
Wer beitragen möchte und Fotos aus der Zeit hat, die da passen würden, ist herzlich eingeladen, sie mir am einfachsten als Email-Anhang oder bei größeren Datenmengen als WeTransfer-Paket an info@franzoesisches-viertel.com zu schicken. Idealerweise mit Angaben zu Zeit und Ort der Aufnahme und ggf. zu den zu sehenden Gebäuden oder Ereignissen und ggf. auch Personen.
Beispielbilder von Ivo Lavetti, der damals einen Gebrauchtwaren-Laden für Haushaltsauflösungs-Gegenstände betrieb – Vielen Dank!