Der „Vater“ des Französischen Viertels ist gestorben – Ruhe in Frieden, Andreas Feldtkeller!

von Fabian Betz, www.franzoesisches-viertel.com, 24.9.2024

Ende August 2024 starb Andreas Feldtkeller im Alter von 91 Jahren – er hatte als Stadtplaner von Ende der 1960er Jahre bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1997 Tübingens Stadtbild und Entwicklung maßgeblich geprägt, darunter rund 25 Jahre lang als Leiter des städtischen Stadtsanierungsamtes.

Seine Erfahrungen aus den Auseinandersetzungen bei der behutsamen Sanierung der – glücklicherweise im Krieg fast unzerstörten – Tübinger Altstadt brachten ihn zu einer eigenen Städtebau-Philosophie, die er 1992 in seinem Buch „die zweckentfremdete Stadt“ veröffentlichte. Wesentliches Element: die Mischung macht die Stadt! … also die Mischung von Wohnen, Arbeitsstätten, Läden, Handwerk, sozialem plus der Mischung der dazugehörigen Menschen etc. sorgt für das urbane Lebensgefühl. Er war überzeugt: „Stadt ist ohne Chaos nicht denkbar“.

Ich selbst durfte ihn bei der Zusammenarbeit im Projekt EVALO in den Jahren 2002-2005 kennenlernen, und auch zu der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag „Stadt Rand Notizen: No. 1: Vielfalt und Konflikt ( Bildung – Gesellschaft – Urbanität) einen Beitrag leisten.
Mir imponierte bei ihm der große Gedankengang, die Tübinger Stadtentwicklung mit ihrer über 500jährigen Geschichte (die Uni wurde 1477 gegründet) mit ihren Errungenschaften und ihrem gewachsenen, bewahrenswerten Lebensgefühl im mittelalterlich geprägten Stadtkern strukturell weiterzudenken in neue Stadtquartiere – und das sogar mit Integration ehemaliger Wehrmachts- (um nicht zu sagen „Nazi-„) Kasernengebäude.
Und das dann so hartnäckig zu verfolgen gegen alle Zeitgeist- und Ökonomischen Widerstände, dass es dann sogar auf der kleinen Parzellenebene verwirklicht wird, mit Sorgfalt und Liebe zum Detail.

Ich habe ihn oft gesehen im Viertel, auf dem Fahrrad und zu Fuß, wie er nach seinem „Baby“ schaute, wie es sich entwickelte, losgelassen aus der Plan-Theorie mit ihrem Ideenhintergrund in die auch rauhe Realität mit Anwohnerinnen- und Bürgerinteressen, Parkierungs- und Gewerbetreibendenbedürfnissen, einem strengen Zonenparkverbots-Regime, das auch einer starken Rolle der Stadt bedurfte.

In vielem war hier die Stadt Tübingen mit ihrem lange auch vor Ort angesiedelten Sanierungsamt der zentrale Akteur, der Regie führte, und klare Vorstellungen hatte, und die auch auf vielen Veranstaltungen und Beteiligungsformaten bewarb.
2001 durfte ich als Praktikant im Stadtsanierungsamt, damals unter dem Feldtkeller-Nachnachfolgeleiter Cord Soehlke – dem heutigen Baubürgermeister – bei einer so genannten „Stadthausbörse“ mitwirken. So hießen die Treffen, bei denen Baugemeinschaften ihre Projekte potenziellen Mitbau- und -wohnninteressierten vorstellen konnten und Kontakte vermittelt wurden. Diese Bündelung der Planungs-, Koordinations- und auch Moderations-Rolle in den Händen eines Amtes mit wenigen Köpfen war sicher ein wesentlicher Hebel für den Erfolg des Städtebauprojektes, und ging nicht zuletzt auch auf Feldtkellers Person zurück, die von 1991-1997 der Amtsleiter war und dieses mit seiner Autorität gestaltet und ausgefüllt hatte.

Im Rückblick gesehen war der Zeitgeist schon auch etwas auf seiner Seite oder „an seiner Seite“ – die Städtebaupreise, der deutsche und der europäische für das Französische Viertel (und das Loretto-Viertel, das auch Teil des Entwicklungsbereichs ist) Anfang der 2000er Jahre und auch die „neue Charta von Athen“ 1998/2003, dann die „Charta von Leipzig 2007“ und die „neue Leipzig-Charta 2020“ mit ihrem Leitbild der „nachhaltigen europäischen Stadt“ sprechen dafür, dass die Ideen mit in der deutschen und europäischen Städtebauszene Fuss gefasst haben.
Die Verluste an urbaner Lebendigkeit, die durch die Wirkung der Separationsideen der „Charta von Athen“ von 1933 dann in den Wiederaufbaujahren nach dem Krieg und den Resultaten der Vision von der autogerechten Stadt (1959) in den 1960er Jahren zu Schmerzen führten („die Unwirtlichkeit unserer Städte“ – Mitscherlich 1965) führten ab Anfang der 1970er Jahre (Quelle: Wikipedia) zu einer Umkehr. Just in den Jahren begann Andreas Feldtkeller als junger Stadtsanierer, die Altstadt zu modernisieren. Zu Beginn schüttelte der damalige Oberbürgermeister Hans Gmelin den Kopf über die „verrückte“ Idee auf dem Marktplatz Tische und Stühle zum draußen Kaffee trinken aufzustellen.

Die Erkenntnis reifte, dass Mischung und Vielfalt im städtischen Leben, vor allem auch im öffentlichen Raum in der friedlich-normalen Begegnung im Vorübergehen zwischen Fremden, Andersartigen besteht – und in dem Gefühl von „gemeinsam sind wir reicher, jeder gibt und nimmt etwas, alle bringen sich ein, ein Kommen und Gehen von Läden, Menschen, Funktionen, alles fließt, ändert sich laufend, aber der städtische Rahmen hält das aus und ermöglicht. Diese eigentümliche städtische Mischung stellt dann einen Gewinn, ein Plus für alle dar.
Und dann kam die Frage nach der Planbarkeit solcher Strukturen, der Implementierung einer Philosophie in Bebauungsplanvorgaben, Parzellengrenzen, öffentliche Straßen- und Platzstrukturen. Das französische Viertel ist das Ergebnis der Annäherung an das Ideal, auch eine Art gewagtes, weil damals neuartiges „Experiment“ – und nach Meinung vieler Experten in seiner Konsequenz der kleinparzellierten Nutzungsmischung einzigartig, und von vielen Nachahmern nicht erreicht in der Tiefe der Umsetzung der als elementar erkannten städtebaulichen Prinzipien.
Aber ganz zufrieden war Andreas Feldtkeller damit auch nicht, er hat immer weiter gedacht.

Andreas Feldtkeller 2017, Foto: privat


Mehr über ihn im StadtWiki TÜpedia hier: https://www.tuepedia.de/wiki/Andreas_Feldtkeller

Ein Interview von 2017 hier: Es wurde zu wenig experimentiert | BDA | der architekt (derarchitektbda.de)